Dehnen vor oder nach dem Training? Was wirklich funktioniert – und warum die meisten es falsch mache
Kaum ein Thema sorgt für so viele Missverständnisse wie Dehnen. Soll man Dehnen vor oder nach dem Training? Diese Frage verwirrt viele Menschen.
Jeder hat eine Meinung, viele machen es „wie früher im Schulsport“, und kaum jemand weiß, was die Wissenschaft heute klar sagt.
Ich habe es über Jahrzehnte bei mir selbst, meinen Klienten und meinen Mentoren in Los Angeles gelernt: Dehnen kann ein Power-Tool sein – oder Deine Leistung ruinieren.
Entscheidend ist: Wann und wie.
Stell Dir vor, Du bereitest Dich auf eine wichtige Trainingseinheit vor. Du dehnst Dich gründlich, wie Du es immer tust – und wunderst Dich dann, warum Deine Leistung schlechter ist als sonst. Oder Du lässt das Dehnen nach dem Training komplett weg und kämpfst später mit Verspannungen und eingeschränkter Beweglichkeit.
In diesem Artikel erfährst Du die wissenschaftlich fundierten Antworten auf die wichtigsten Fragen rund ums Dehnen – und wie Du es richtig in Deine Trainingsroutine einbaust.
Die zwei Arten des Dehnens – der wichtigste Unterschied
Bevor wir darüber sprechen, wann Du dehnen solltest, müssen wir einen entscheidenden Unterschied verstehen:
1. Statisches Dehnen
• Position einnehmen
• 15–60 Sekunden halten
• Muskel wird passiv verlängert
→ Ziel: Flexibilität & Entspannung
2. Dynamisches Dehnen
• Kontrollierte, aktive Bewegung
• Gelenke durch vollen Bewegungsradius führen
• Muskulatur aktiv einsetzen
→ Ziel: Aktivierung, Mobilisierung, Vorbereitung auf Krafteinsatz
Dieser Unterschied entscheidet darüber, ob Dehnen Deinem Training nützt – oder es sabotiert.
Soll man vor dem Training dehnen?
Kurzantwort: Dynamisch JA – statisch NEIN.
Warum statisches Dehnen vor dem Training kontraproduktiv ist
Die Studienlage ist eindeutig:
• Reduziert kurzfristig die Kraftleistung
• Senkt die Explosivität
• Verschlechtert die Stabilität
• Verschiebt den Muskeltonus
• Deaktiviert Spannung, die Du im Krafttraining brauchst
Ergebnis: Du wirst schwächer, instabiler und riskierst eher Verletzungen.
Ich sehe es immer wieder bei Trainierenden: Sie dehnen statisch vor dem Bankdrücken oder Kniebeugen und wundern sich dann, warum sie nicht ihre gewohnte Last bewegen können. Die Wissenschaft gibt eine klare Antwort: Statisches Dehnen vor Kraftleistungen kann die Maximalkraft um bis zu 8% reduzieren!
Warum dynamisches Dehnen perfekt für das Warm-Up ist
Dynamische Mobilität:
• Erhöht die Körpertemperatur
• Verbessert die Gelenkbeweglichkeit
• Aktiviert das Nervensystem
• Bereitet Muskeln & Faszien vor
• Steigert Kraft & Explosivität
Beispiele für effektives dynamisches Dehnen:
• Leg Swings (Beinschwünge vor/zurück und seitlich)
• Hüftkreise in beide Richtungen
• Cat-Cow für die Wirbelsäule
• Ausfallschritte mit Rotation
• Schulterkreise und Armzirkel
• Kniebeugen ohne Gewicht
Diese Übungen bereiten Deinen Körper optimal auf das bevorstehende Training vor, ohne die Leistungsfähigkeit zu beeinträchtigen.
Soll man nach dem Training dehnen?
Kurzantwort: Nach dem Training ist statisches Dehnen sinnvoll – aber nicht verpflichtend.
Vorteile des Dehnens nach dem Krafttraining
• Parasympathische Aktivierung (Runterfahren des Nervensystems)
• Leichte Reduktion muskulärer Spannung
• Verbessert die Regeneration subjektiv
• Kann langfristig die Flexibilität steigern
• Ideal bei verkürztem Gefühl oder hohem Muskeltonus
Aus meiner Erfahrung mit hunderten Klienten kann ich bestätigen: Besonders Menschen mit sitzenden Berufen profitieren enorm vom statischen Dehnen nach dem Training. Es hilft, die durch Büroarbeit und Training entstandenen Verspannungen zu lösen.
Was Dehnen NICHT macht
Hier müssen wir mit einigen Mythen aufräumen:
• Es reduziert keinen Muskelkater (DOMS)
• Es verkürzt nicht direkt die Regenerationszeit
• Es formt keine Muskeln
• Es verhindert keine Verletzungen unmittelbar
Wann Dehnen nach dem Training besonders sinnvoll ist
• Bei hoher Alltagsbelastung (viel Sitzen)
• Bei „verkürzten“ Muskelketten (z.B. Brust, Hüfte, Waden)
• Bei Sportarten mit großem Bewegungsradius (Kampfsport, Turnen)
• Für Athleten, die Mobilität brauchen (Olympic Lifts, Sprinter)
• Zur Entspannung nach stressigen Trainingseinheiten
Wie viel Dehnen ist sinnvoll?
Vor dem Training (dynamisch):
• 5–10 Minuten
• Kontrolliert, aktiv, mobilisierend
• Nie extreme Dehnpositionen einnehmen
• Progressiv steigern (von leicht zu intensiver)
Nach dem Training (statisch):
• 10–30 Sekunden pro Muskelgruppe
• 2–3 Wiederholungen
• Leichtes Ziehen spüren, aber keinen Schmerz
• Atmung ruhig & tief halten
Die richtige Dosis macht den Unterschied. Zu viel des Guten kann kontraproduktiv sein, besonders wenn Du bereits erschöpft bist.
Was Old-School Bodybuilder wirklich gemacht haben
Robby Robinson hat mich früh gelehrt: „Flexibility is youth.“
Er hat nach jedem Training die Muskeln gedehnt – nicht, um stärker zu werden, sondern um „den Körper jung und die Gelenke frei zu halten“.
Old-School-Athleten wussten intuitiv, was die Forschung heute bestätigt: Dehnen ist kein direkter Kraft-Booster – aber ein Langlebigkeits-Booster.
In meiner Zeit im legendären Gold’s Gym in Venice, Kalifornien, habe ich beobachtet, wie selbst die massivsten Bodybuilder nach dem Training Zeit für Stretching investierten. Sie verstanden: Nur wer beweglich bleibt, kann langfristig trainieren.
Häufige Fehler beim Dehnen
• Statisches Dehnen direkt vor dem Training → führt zu Leistungsabfall • Aggressives Dehnen bis zum Schmerz → erhöht das Verletzungsrisiko • Kalte Muskeln statisch dehnen → ineffektiv und riskant • Zu langes Halten (>60 Sekunden) nach schweren Einheiten → übermäßiger Stress
• Unkontrollierte, ruckartige Bewegungen beim dynamischen Dehnen
• Stretching als kompletten Ersatz für Mobility-Training betrachten
• Dehnen ohne bewusste Atmung durchführen
Ich sehe diese Fehler täglich – selbst bei erfahrenen Trainierenden. Die gute Nachricht: Sie sind leicht zu korrigieren, wenn man die Grundprinzipien versteht.
Mobility vs. Dehnen – der entscheidende Unterschied
Ein wichtiger Punkt, den viele übersehen:
Dehnen
→ Ziel: Länge des Muskels erhöhen (passiv)
Mobility
→ Ziel: Aktive Kontrolle über den gesamten Bewegungsradius
Vereinfacht ausgedrückt:
* Mobility = Stärke in Endpositionen
* Dehnen = Reichweite in Endpositionen
Für Athleten und Krafttraining ist Mobility oft wichtiger als reine Flexibilität. Deine Spezifität bei Mobility-Übungen ergibt sich aus der Kombination von Tempo, Spannung, Bewegungsamplitude und dem Zusammenspiel von mehreren Gelenken während einer Bewegung.
Durch spezifische Mobility-Übungen kannst Du folgende Anpassungen erreichen:
-
- Zunahme von Sarkomeren (besonders durch exzentrisch-fokussierte Übungen)
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- Erhöhte Steifigkeit des Kollagengewebes bei ausreichender Belastung
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- Verbesserte Aktivierung der an den Gelenken ansetzenden Muskeln
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- Bessere Gelenkzentrierung durch Verbesserung der muskulären Synergisten
Q&A – Die häufigsten Fragen zum Dehnen
Q: Reduziert Dehnen Muskelkater?
A: Nein. Muskelkater entsteht durch Mikrotraumata in der Muskulatur. Dehnen kann subjektiv kurzfristig Linderung verschaffen, beeinflusst aber nicht den Heilungsprozess.
Q: Kann ich Kraft & maximale Mobility gleichzeitig verbessern?
A: Ja – aber mit aktivem Mobility-Training, nicht reinem statischen Stretching. Loaded Mobility Drills sind hier der Schlüssel.
Q: Sollte ich jeden Tag dehnen?
A: Dynamisch ja, statisch optional je nach individuellen Bedürfnissen und Zielen. Tägliches dynamisches Dehnen kann die Beweglichkeit und Körperwahrnehmung verbessern.
Q: Macht Dehnen mich schwächer?
A: Nur statisches Dehnen direkt vor dem Krafttraining. Langfristig kann gutes Mobility-Training sogar deine Kraft verbessern, da du bessere Bewegungsmuster entwickelst.
Praxisbeispiele für Deinen Trainingsplan
Vor dem Training (5–10 Min. dynamisch)
• Hüftkreise in beide Richtungen
• Schulterrollen vorwärts und rückwärts
• Air Squats mit progressiver Tiefe
• Ausfallschritte mit Rotation zur Seite
• Thoracic Mobility (Brustwirbelsäulenmobilisation)
• Leg Swings (Beinschwünge) in alle Richtungen
Nach dem Training (10 Min. statisch)
• Brustdehnung am Türrahmen
• Hüftbeuger-Stretch im Ausfallschritt
• Quadrizeps-Stretch im Stehen
• Gesäßmuskulatur-Stretch (Pigeon Pose)
• Rückenstrecker-Stretch (Child Pose)
• Waden-Stretch an der Wand
Deine Mobilität muss als Teil des Trainings angesehen werden, um Verletzungen vorzubeugen und eine grundsätzliche Beweglichkeit zu erhalten. Eine Verkürzung der Muskulatur ist mehr als nur schädlich – sie limitiert dein volles Potenzial.
Persönliche Note
Nach 30+ Jahren Training weiß ich: Flexibilität ist keine Nebensache. Sie ist ein zentraler Teil der Langlebigkeit und Leistungsfähigkeit.
Je freier Du Dich bewegen kannst, desto länger bleibt Dein Training schmerzfrei und effektiv. Ich habe es an mir selbst erlebt: Als ich begann, Mobility und Stretching ernst zu nehmen, verschwanden meine chronischen Schulterprobleme, und meine Leistung im Krafttraining verbesserte sich spürbar.
Dehnen ist wie eine Investition in die Zukunft Deines Körpers – die Rendite kommt nicht sofort, aber langfristig zahlt es sich enorm aus.
Fazit
Die Wissenschaft ist eindeutig:
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- Vor dem Training: Dynamisch bewegen, nicht statisch dehnen
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- Nach dem Training: Wenn sinnvoll, statisch dehnen
Stretching ist kein Wundermittel, aber ein wertvolles Werkzeug für Gesundheit, Beweglichkeit und nachhaltiges Training. Nutze es klug und zum richtigen Zeitpunkt.
Pausentage haben übrigens eine höhere Priorität als du dir vorstellen kannst, insofern dein Training den nötigen Reiz setzt. Viele fortgeschrittene Athleten machen den Fehler, ihre Pausentage nicht richtig zu nutzen oder zu wenige in ihre Routine einzubauen. Diese Tage sind essentiell für deinen sportlichen Erfolg und müssen konsequent eingehalten werden.
Dein nächster Schritt
Wenn Du wissen möchtest, wie Du Mobility, Strength & Langlebigkeit perfekt kombinierst – buche Dein Coaching bei mir oder starte mein 16-Wochen-Programm. Gemeinsam entwickeln wir eine maßgeschneiderte Strategie, die zu Deinen individuellen Zielen und körperlichen Voraussetzungen passt.
FAQ: Dehnen und Mobility
Ist Dehnen vor dem Cardio-Training sinnvoll?
Dynamisches Dehnen ja, statisches Dehnen nein. Auch beim Cardio-Training gilt: Dynamische Mobilisierung aktiviert optimal, während statisches Dehnen die Leistungsfähigkeit kurzfristig reduzieren kann.
Wie lange dauert es, bis ich Verbesserungen in meiner Beweglichkeit sehe?
Bei konsequentem Training (3-4x pro Woche) sind erste Verbesserungen bereits nach 2-3 Wochen spürbar. Signifikante Veränderungen in der Beweglichkeit zeigen sich typischerweise nach 8-12 Wochen regelmäßigen Trainings.
Kann Dehnen Rückenschmerzen lindern?
Ja, aber nur als Teil einer ganzheitlichen Strategie. Gezielte Dehn- und Mobility-Übungen können bei bestimmten Arten von Rückenschmerzen helfen, insbesondere wenn sie durch muskuläre Dysbalancen oder Verspannungen verursacht werden. Konsultiere bei chronischen Schmerzen jedoch immer einen Facharzt.
Ist Dehnen für Muskelaufbau hinderlich?
Nein, sofern es richtig eingesetzt wird. Statisches Dehnen nach dem Training kann sogar die Regeneration unterstützen. Nur vor dem Training solltest du auf intensives statisches Dehnen verzichten, wenn maximale Kraft und Muskelaufbau dein Ziel sind.
Sollte ich beim Dehnen Schmerzen spüren?
Nein. Ein leichtes Ziehen ist normal, aber Schmerz ist ein Warnsignal. Effektives Dehnen findet in der „Komfortzone plus 10%“ statt – du solltest die Dehnung deutlich spüren, aber keine Schmerzen haben.










